Call Center Servicelevel 80/20: Ein Blick hinter die nackten Zahlen
Es war eine dieser Anbieter-Präsentationen eines Call-Center-Dienstleisters, die sich wie ein Kaugummi zog und bereits Überlänge notierte. Und dann kam das scheinbar ultimative Argument, warum es sich um einen “echten Qualitätsdienstleister” handle. Ich gebe zu, es ist ein origineller Ansatz für bestes Marketing-Blabla.
„Bei uns gibt es keine Diskussionen. Wir arbeiten immer schon mit Servicelevel 80/20.“
– Erdal K., Key Account Manager Business Process Outsourcer/Call Center Dienstleister
Und genau in diesem Moment, als er weiter in seine Argumentation eintauchte, wurde mir klar:
Es wird Zeit, dass ich darüber schreibe und das Meeting mit Erdal K. beende.
Warum nicht ein wenig tiefer in diese Kennzahl Servicelevel 80/20 eintauchen?
Inhalte
Vorweg: kreatives Marketing Call Center Servicelevel 80/20
Werter Erdal K.,
vielleicht lesen Sie diesen Blog. Gerne hätte ich Ihnen persönlich geantwortet, doch mein nächster Termin stand bereits bevor.
Das Servicelevel 80/20 an sich sagt gar nichts über die Qualität Ihres Unternehmens aus.
Es besagt weder,
- wie zufrieden Ihre Auftraggeber:innen oder deren Kunden sind,
- ob und wie gut, Ihre Kolleg:innen Deutsch sprechen,
- was Ihr Unternehmen tut, um die eigene Güte zu messen und zu steuern,
- was für einen Gegenwert man bei Ihnen erhält,
- …
- aber es besagt:
Zumindest wählen Sie einen kreativen Ansatz, um sich und ihr Unternehmen vorzustellen.
Vielen Dank dafür!
Fazit Call Center Servicelevel 80/20
Das Servicelevel 80/20 ist im Call Center eine gängige Kennzahl, die die Effizienz und Reaktionsfähigkeit eines Call Centers scheinbar misst. Doch die Praxis zeigt, dass viele Dienstleister mit verschiedenen Tricks und Methoden arbeiten, um diese Kennzahl zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Frage ist nicht nur, ob ein Anruf innerhalb von 20 Sekunden beantwortet wird, sondern auch, wie die Qualität der Antwort aussieht. Unternehmen, die an Call Center-Dienstleister outsourcen, sollten sich bewusst sein, dass Servicelevel 80/20 für sich kein Ausweis für Qualität ist.
Es ist wichtig, die Qualität des Service und die tatsächliche Kundenzufriedenheit in den Mittelpunkt zu stellen.
Wenn du wissen willst, wie du Qualität steuerst, empfehle ich dir, informiere dich über Vendor Management 2.0.
Was bedeutet eigentlich das Servicelevel 80/20 im Call Center?
Das Servicelevel 80/20 ist eine der am häufigsten verwendeten Kennzahlen im Call Center-Management. Es gibt an, dass 80 % aller eingehenden Anrufe innerhalb von 20 Sekunden beantwortet werden sollen. Diese Metrik dient als Maßstab für die Effizienz und Reaktionsfähigkeit eines Call Centers. Doch hinter dieser Kennzahl steckt mehr als nur eine einfache Zielvorgabe. In diesem Artikel gehen wir nicht nur auf das Servicelevel 80/20 ein, sondern auch darauf, wie Call Center-Dienstleister diese Kennzahl geschickt schönrechnen.
Definition des Servicelevels 80/20
Das Servicelevel ist eine Kennzahl, die den Anteil der Anrufe misst, die innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens entgegengenommen werden. Bei einem Servicelevel von 80/20 bedeutet dies, dass 80 % der Anrufe innerhalb von 20 Sekunden mit einem Agenten verbunden werden. Die Berechnung erfolgt, indem die Anzahl der Anrufe, die innerhalb von 20 Sekunden beantwortet wurden, durch die Gesamtzahl der eingegangenen Anrufe geteilt und mit 100 multipliziert wird.
Die Tricks und Schönrechnereien der Dienstleister
Soweit, so gut in der Theorie. In der Praxis gestaltet sich das schon diffiziler.
Nehmen wir Kurzabbrecher:
Kurzabbrecher, also Anrufe, die in weniger als 5 Sekunden beendet werden, gelten bei Call Center-Dienstleistern häufig als wichtiges Thema. Sie entstehen oft durch verschiedene Gründe, wie beispielsweise falsche Weiterleitungen, Anrufer:innen, die sich vertippen oder auflegen, bevor sie überhaupt mit einem Agenten sprechen. Technische Störungen kommen ebenfalls vor.
Die genaue Prozentzahl der Kurzabbrecher kann stark variieren, je nach Branche, Art des Services und den verwendeten Ansagen. Im Allgemeinen lässt sich festhalten:
Ein Anteil von 5 % bis 7 % der gesamten eingehenden Anrufe gilt nicht als ungewöhnlich hoch. In einigen Fällen mag der Anteil sogar höher ausfallen, insbesondere bei Services, die stark auf automatisierte Systeme setzen oder eine hohe Anzahl an Vorgängen mit geringer Komplexität bearbeiten.
Quasi: Anrufer:innen hören eine Ansage und entscheiden sich, selber nach einer Lösung zu suchen, bevor sie vielleicht 5 Minuten warten.
Gerne genommen: „Wrong Queue Entry“
In der Fachsprache eines Call-Center-Dienstleisters bezeichnet man Vorgänge, bei denen einem Anrufer nicht geholfen werden kann, weil er ein falsches Thema ausgewählt hat, als „Wrong Queue Entry“. Sprich, wenn Anrufer:innen in eine Warteschlange oder zu einem Agenten gelangen, der nicht für die Bearbeitung des Anliegens zuständig ist.
Weitere Begriffe lauten „Call Routing Error“ oder „Misrouting“. Dies beschreibt den Fall, dass der Anrufer durch ein automatisiertes System oder eine fehlerhafte Auswahl in einem IVR-Menü (Interactive Voice Response) an den falschen Agenten oder die falsche Abteilung weitergeleitet wird.
Auch diese Anrufe argumentieren gewiefte Dienstleister-Vertreter:innen, gehören nicht in das eigene Servicelevel.
Oder sprechen wir von der Definition des Eingangs bei mehreren Themen:
Was ist damit gemeint? Nun, nehmen wir an, Call-Center-Dienstleister A betreut die Themen 1, 2 und 5, Call-Center-Dienstleister B die Themen 3 und 4. Eine Person benötigt in einem Vorgang Antworten zu den Themen 2 und 3 und wird von A nach B weitergeleitet.
Zählt dann der Anruf bei Dienstleister B als Eingang für den Servicelevel? Oder kann der Anruf ruhig 10 Minuten warten, weil ja Dienstleister A für 20 Sekunden verantwortlich zeichnet?
Du ahnst es schon. Auch lässt sich vortrefflich diskutieren, was nun als Bestandteil eines Servicelevels von 80/20 wirklich gilt.
Phänomen „Issue Steering“
In der Fachsprache eines Call-Center-Dienstleisters nennt man das absichtliche Ändern des Themas eines Anrufs durch den Agenten oft als „Issue Steering“, „Call Steering“ oder „Call Redirection“.
Dieser Begriff beschreibt die Praxis, bei der der Agent den Anruf von dem ursprünglichen Anliegen des Kunden auf ein anderes Thema oder Problem lenkt, das möglicherweise einfacher zu lösen ist oder besser in den Prozess des Call Centers passt.
Das bietet einem Outsourcing Service Provider gleich 3-mal die Chance, das Servicelevel zu beeinflussen:
- Vorgänge kürzer halten und damit leichter Servicelevel 80/20 erreichen
- Vorgänge an andere Einheiten weiterleiten und damit das eigene Servicelevel sichern
- Vorgänge aus der Statistik nehmen, weil sie ja gar nicht reingehören.
Herausforderungen beim Erreichen des Call Center Servicelevels 80/20
Obwohl das Ziel von 80/20 weit verbreitet ist, fällt es schwer, dieses Niveau konstant zu erreichen. Die größten Herausforderungen dabei lauten:
- Schwankungen im Anrufvolumen: Anrufe können durch Marketingkampagnen, saisonale Schwankungen oder plötzliche technische Störungen stark ansteigen. Solche Anrufspitzen erfordern eine flexible und schnelle Anpassung der Ressourcen.
- Mitarbeiter:innen-Verfügbarkeit: Es ist entscheidend, dass ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht, um die Anrufe schnell zu beantworten. Zu wenig Personal führt zu langen Wartezeiten und einem schlechten Servicelevel.
- Komplexität der Anfragen: Während sich einfache Anrufe schnell bearbeiten lassen, erfordern komplexere Anfragen mehr Zeit. Wenn ein Anrufer etwa technische Unterstützung benötigt oder eine detaillierte Anfrage stellt, kann die Bearbeitung deutlich länger dauern, was das Servicelevel negativ beeinflusst.
- Kosten: Ein hoher Personalbestand, der dafür sorgt, dass das Servicelevel konstant auf einem hohen Niveau bleibt, kostet Geld. Und beim Geld endet bekanntlich die Freundschaft.